1.500 Überwachungshelfer bei der Post. Und wie viele überwachte Bürger?

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Etwa zwei- bis dreihundert Verdächtige sollen in Deutschland von der Postüberwachung betroffen sein, wird derzeit von namhaften Medien kolportiert. Wir untersuchen, was an dieser Zahl dran ist, und decken dabei ein Berichtsdefizit auf, das die Bewegung gegen Überwachung im ersten Schritt beseitigen sollte.


Vor zwei Wochen machte die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke Schlagzeilen: 1.494 Mitarbeiter der Deutschen Bundespost sind demnach damit beschäftigt, Sendungen (Briefe und Pakete) herauszusuchen, um sie deutschen Behörden auszuhändigen, die deren Inhalt unter Verletzung des Postgeheimnisses heimlich einsehen. Angesichts dieser hohen Zahl stellt sich die Frage, wie viele Postsendungen denn jährlich in Deutschland überwacht werden. Interessanterweise lehnt die Bundesregierung in Ihrer Antwort die Veröffentlichung dieser Information ab: Daraus könnten Rückschlüsse auf die Zahl der bearbeiteten Verdachtsfälle gezogen werden, was nachteilig für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland sein könne. Welche Nachteile sind wohl damit gemeint? Die Antwort überrascht auch schon deshalb, weil es bereits eine Berichtspflicht über die Zahl der Verdachtsfälle gibt. Das Parlamentarische Kontrollgremium gibt diese jährlich heraus.

Die Neue Osnabrücker Zeitung war die erste Zeitung, die die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage aufgegriffen hat. Sie recherchierte den Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums und bereicherte ihre Meldung dann um folgende Informationen: „Im Jahr 2015 erhielten Verfassungsschutz, BND und Militärischer Abschirmdienst die Erlaubnis, knapp 200 Verdächtige auf diese Weise zu überwachen“ und „336 Hauptverdächtige waren im ersten Halbjahr 2015 im Visier“. Um es gleich vorwegzunehmen: Beide Zahlen sind irreführend, die erste dazu auch noch falsch berechnet. Das hat die zahlreichen anderen Medien von WAZ, Tagesspiegel und RP über Neues Deutschland und Compact bis zur Tagesschau jedoch nicht davon abgehalten, die Fehlinformationen ungeprüft zu übernehmen.

Wie viele werden denn nun überwacht, knapp 200 oder 336? Die erste Zahl bezieht sich nicht auf die „Verdächtigen“, sondern auf die Überwachungsgenehmigungen, wobei von einer Überwachung auch mehrere Menschen betroffen sein können, wenn sich eine Überwachungsmaßnahme eben nicht nur auf eine Einzelperson, sondern auf eine Gruppe erstreckt. Die Anzahl der durch alle Maßnahmen Betroffenen ist die zweite Zahl. Dazu kommen noch 249 Nebenbetroffene, die mitüberwacht werden, weil beispielsweise ihre Adresse von den Hauptbetroffenen mitgenutzt wird. Bleibt noch anzumerken, dass die erste Zahl von knapp 200 Genehmigungen falsch berechnet wurde, weil die über das Halbjahr hinaus fortgesetzten Überwachungsmaßnahmen darin doppelt enthalten sind. Korrekt müsste die Zahl 128 lauten.

Für 128 Überwachungsgenehmigungen mit 585 Betroffenen benötigt die Post also nicht weniger als 1.494 Mitarbeiter? Das macht durchschnittlich ein Dutzend Mitarbeiter für jede Überwachungsmaßnahme bzw. zweieinhalb Mitarbeiter je überwachte Person. Dieses fragwürdige Verhältnis ließ die Leser bereits spekulieren, ob die Postmitarbeiter die Überwachung vielleicht nur zu ihrer normalen Sortiertätigkeit nebenher mit abwickeln oder gar nur in Teilzeit arbeiten. Der Grund liegt aber wohl eher darin, dass die von der Neue Osnabrücker Zeitung herangezogenen Zahlen aus dem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums vollkommen irreführend sind. Die Zahl der überwachten Bürger ist nämlich tatsächlich um ein Vielfaches höher.

Dazu muss man wissen, dass es nicht drei, sondern 19 Geheimdienste in Deutschland gibt: Neben dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz unterhält auch noch jedes Bundesland seinen eigenen Landesgeheimdienst („Verfassungsschutz“-Behörden der Länder). Das Parlamentarische Kontrollgremium berichtet allerdings — wie es das Artikel 10-Gesetz vorsieht — nur über die drei Bundesbehörden. Eine konsolidierte Berichterstattung über alle Maßnahmen der Bundes- und Landesgeheimdienste gibt es leider nicht. (Dabei zeigt die Regelung des § 101b Strafprozessordnung vorbildlich, wie so eine konsolidierte Erfassung und Veröffentlichung aussehen könnte.) Statt dessen bleibt es jedem Land selbst überlassen, ob und wie es gesetzlich zur Berichterstattung verpflichtet. In Berlin gibt es beispielsweise keine öffentlichen Zahlen zu den Überwachungen des Berliner Landesgeheimdienstes. In diesem Bereich wäre ein erster, leichter Schritt zur Reformierung des Geheimdienstes möglich, aber die neuen Berliner Regierungsparteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen scheinen ja ihre bürgerrechtlichen Vorsätze vergessen zu haben.

Schließlich sei auch noch erwähnt, dass andere Behörden wie die Gerichte oder die Zollverwaltung das Abfangen von Postsendungen anordnen dürfen, allerdings nicht nach dem Artikel 10-Gesetz, sondern nach anderen Gesetzen wie der Strafprozessordnung bzw. dem Zollverwaltungsgesetz. Gleichwohl dürften dafür die gleichen Postmitarbeiter zuständig sein, wie bei den Überwachungsanordnungen der Geheimdienste.

Wie viele Personen also insgesamt in Deutschland mithilfe der 1.500 Postmitarbeiter überwacht werden, lässt sich aufgrund der zahlreichen Behörden mit Überwachungskompetenz und der fehlenden Berichtspflicht derzeit nicht bestimmen. Die anfängliche Frage, warum die Bundesregierung die Zahl der jährlich überwachten Postsendungen nicht veröffentlicht, ist wohl tatsächlich weniger mit Nachteilen für die deutschen Interessen begründet, als viel mehr mit der Tatsache, dass sie die Zahl der geöffneten Postsendungen überhaupt nicht weiß (wie es auch weiter unten in der Antwort der Bundesregierung heißt). Die Bewegung gegen Überwachung sollte deshalb als geringsten Anspruch und ersten Schritt eine konsolidierte Berichterstattung über die Überwachungsmaßnahmen aller Bundes- und Landesbehörden einfordern.

Ein Gedanke zu „1.500 Überwachungshelfer bei der Post. Und wie viele überwachte Bürger?“

  1. Das ist doch schon seit 60 Jahren so. Warum also erst jetzt diese Aufregung? Oder dachte man allen Ernstes, es wäre damals die Stasi allein gewesen? Nein Bundespost und selbst Bundeswehr haben es in der gesamten Zeit des Bestehens der BRD praktiziert. Allein die gesamte Post zwischen DDR und BRD wurde von diesen Institutionen durchschnüffelt – schon damals verfassungswidrig.

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