
Überraschungen von zwei Fraktionen, Fremdschämen bei einem Opportunisten und eine rhetorische Glanzleistung des Geheimdienstchefs: Der Abschluss der Haushaltsberatungen im Geheimdienstausschuss bot einen seltenen Unterhaltungswert. Im Ergebnis ändert sich leider erst einmal nichts: Personelle Verstärkung, Aufstockung des Spitzelbudgets und Big Data wurden nicht aufgehalten.
Am 11. Oktober wurden die Haushaltsberatungen im Ausschuss für „Verfassungsschutz“ abgeschlossen – Berlin-Mitte gegen Überwachung war dabei. Nachtrag vom 17.11.2017: Das Protokoll ist diese Woche veröffentlicht worden. Wir berichteten bereits über die vorangegangene Sitzung vom 6. September, in der die neuen Regierungsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen von ihrem geheimdienstkritischen Kurs aus ihrer Oppositionszeit Abschied genommen und den Ausbau des Landesgeheimdienstes kritiklos akzeptiert hatten. Zwischenzeitlich bekamen die konformistischen Abgeordneten noch mehr Kritik aus der Bewegung gegen Überwachung zu hören. Das hat zumindest bei Niklas Schrader (Die Linke) angeschlagen, der sein Ehrgefühl wiederfand und ziemlich zerknirscht seine geänderten Ansichten über den Haushaltsentwurf bekanntgab. Aber der Reihe nach…
Dass CDU-Abgeordneter Stephan Lenz eine personelle Aufstockung um 50 statt nur um 20 Mitarbeiter fordert, kann man kaum als Überraschung bezeichnen. Dass nicht nur er, sondern auch die FDP mit dem Abgeordneten Holger Krestel eine Verdoppelung der Sicherheitszulage für Schlapphüte will, ist schon etwas überraschender. Für eine richtige Überraschung sorgt allerdings die AfD: Die für Ihre Forderungen nach mehr Sicherheit bekannte Partei schwenkt in einen geheimdienstkritischen Kurs ein und führt mit ihren Streichungsanträgen die beiden neuen Regierungsfraktionen vor. „Die Grünen und Linken haben sich von der Macht korrumpieren lassen!“ schließt AfD-Abgeordneter Ronald Gläser, nachdem er genüsslich die Aussagen der früheren linken und grünen Ausschussmitglieder zu Oppositionszeiten zitierte (auch in unserem Blog zu lesen). Die innere Sicherheit sei durch mehr Geheimdienst nicht wiederherzustellen, sondern indem man die Ursachen der Probleme bekämpft.
Als das Wort an Schrader geht, überrascht auch er die Anwesenden mit seiner Kehrtwende: Die zitierten Aussagen von Hakan Taş aus dem Jahr 2015 stimmten immer noch und er stehe auch weiter dahinter. Keine andere Behörde in Berlin sei so stark gewachsen wie der Geheimdienst und dieser sei kein Mittel gegen die Bedrohungslage. Den Kürzungsanträgen der AfD könne er natürlich nicht zustimmen, doch werde er das Thema noch einmal in die Koalition hineintragen. Da die Haushaltsberatungen im Hauptausschuss und Plenum fortgesetzt werden, sei noch alles offen. Nach diesen Worten, lieber Niklas Schrader, ein herzliches Willkommen zurück in der Bewegung! Wir sind sehr gespannt und werden Sie an den Taten messen, die zum jetzigen Zeitpunkt leider noch gegen Sie sprechen, weil Sie in dieser Sitzung für die Aufrüstung des Geheimdienstes gestimmt haben.
Und wie löst der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Benedikt Lux den Konflikt auf, dass er die Stellenerhöhung 2015 ablehnte und jetzt einer weiteren zustimmt? Dass er vor drei Jahren noch das Spitzelwesen abschaffen wollte und jetzt das Spitzelbudget um die Hälfte erhöht? Lux: Die Verstärkung der Behörden ist genauso erforderlich wie die der parlamentarischen Kontrolle. Der Haushalt ist doch unwesentlich, wichtig sind doch nur die Reformen! Und überhaupt, die Sicherheitsvorkommnisse!!!
Lenz will den grünen Verrat am Wähler noch etwas ausschlachten und fragt süffisant nach: „Wie ist die aktuelle Position der Grünen? Wird der Verfassungsschutz jetzt gefördert?“ Der Saal blickt gespannt auf Lux. Er lächelt verlegen. Der Sitzungsleiter Florian Dörstelmann (SPD) will schon weiter machen, wird jedoch von Lenz unterbrochen: Der Kollege Lux habe noch nicht geantwortet. Dörstelmann antwortet belustigt, dass Lux durchaus selbständig sei und nicht von ihm aufgefordert werden müsse. Es stehe ihm frei, sich zu melden oder es zu lassen. Während dieser Neckerei bricht der Spott des ganzen Saales über Lux herein. Er bleibt still und reglos sitzen, lächelt und lächelt, bis Dörstelmann schließlich die jämmerliche Darbietung beendet und die Tagesordnung fortsetzt.
Konsens über die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle
Immerhin einen Wermutstropfen hat die Debatte: Lenz stimmt Lux zu, dass die Kontrollposition des Parlaments verschärft werden müsse. Vielleicht wird dieser Punkt aus dem Koalitionsvertrag dann tatsächlich umgesetzt (S. 148):
Es werden präzisere gesetzliche Dokumentationspflichten eingeführt, um die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments zu verbessern. Die parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit des Verfassungsschutzes wird ausgebaut.
Dringend nötig wäre es auf jeden Fall: Verfassungsrechtler Christoph Gusy bezeichnet die parlamentarischen Kontrollinstanzen als blinde Wächter ohne Schwert, weil sie weder Einblick in die Geschäfte des Geheimdienstes haben, noch Mittel zur Sanktionierung von Verstößen. Und in Geheimdienstkreisen werden die nichtöffentlichen Sitzungen mit den Parlamentariern als Märchenstunden verspottet. Wie in diesem Blog schon ausgeführt wurde, gibt es speziell in Berlin im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern noch nicht einmal eine öffentliche Berichterstattung über den Umfang der geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen wie dem Abhören von Telefonaten. Hier könnte gut mit der Reform angefangen werden. Welche der zahlreichen befürwortenden Fraktionen wird den Aufschlag machen?
Geheimdienst kriegt Big Data
Zurück zur Haushaltsberatung. Als es darum geht, über eine halbe Million Euro für die Einführung des „Dokumentenmanagementsystems“ locker zu machen, ist es wieder Gläser, der dagegen Einspruch erhebt: Die AfD warne davor, dem Geheimdienst ein Instrument an die Hand zu geben, das sogar mächtiger als die Rasterfahndung ist. Das Produkt stamme im übrigen von Open Text, einem Unternehmen aus dem Five-Eyes-Mitgliedsland Kanada, was Anlass zur Sorge gebe, dass am Ende Daten durch Hintertüren abgegriffen werden. (Ausführliche Kritik dazu gibt es auch in diesem Blog.) An dieser Stelle läuft Geheimdienstleiter Bernd Palenda zur Hochform in der wichtigsten Disziplin seines Faches auf — dem Täuschen: Er frage sich, ob die AfD überhaupt wisse, was ein Dokumentenmanagementsystem ist, wenn sie solche „alternativen Fakten“ verbreitet. Ohne auch nur auf einen der geäußerten Kritikpunkte einzugehen — geschweige denn einen zu widerlegen — wendet er sich im folgenden nur noch den rein verwaltungstechnischen Aspekten der neuen IT zu und schafft es mit diesem rhetorischen Trick, das Publikum im Saal von der Harmlosigkeit zu Überzeugen: Letztes Jahr sei die Digitalisierung der Berliner Verwaltung beschlossen worden und das neue IT-System diene genau dazu, Dokumente in einem digitalen Geschäftsprozess zu verwalten. Es werde nicht durch auswärtige Stellen betreut, sondern ausschließlich intern. Für den Geheimschutz werde es in einer eigenen, abgeschotteten Netzwerkumgebung betrieben und an NADIS angeschlossen. Angriffsmöglichkeiten seien immer denkbar, aber nicht einfach. Palenda gelingt es damit tatsächlich, Verwirrung und Verunsicherung bei der AfD zu stiften. Die anderen Fraktionen geben sich zufrieden, die Mittel werden ohne weiteres bewilligt. Leider fragt niemand nach, was es eigentlich bedeutet, dass das Dokumentenmanagementsystem an das Nachrichtendienstliche Informationssystem NADIS angeschlossen wird: Gemäß § 13 Absatz 4 Bundesverfassungsschutzgesetz darf der Inlandsgeheimdienst dann nämlich personenbezogene Daten abfragen und automatisch abgleichen — das ist Big Data, die Rasterfahndung 2.0.
Geheimdienst-Werbung geht weiter
Noch ein letzter Punkt aus der Haushaltsberatung, der nicht dem Vergessen anheim fallen soll. Wieder kommt er von der AfD: Die Mittel für die Publikationen und Veranstaltungen des Geheimdienstes sollen gestrichen werden — erneut Bezug nehmend auf die Koalitionsvereinbarung, in der es heißt (S. 149):
Die Koalition ist sich einig, dass die politische Bildung nicht zum Kernbereich des Verfassungsschutzes gehört.
Den Antrag würde die linke und grüne Parteibasis mit Sicherheit inhaltlich unterstützen, nur die Abgeordneten lehnen ihn ab, ohne auch nur eine andere Maßnahme zur Umsetzung ihres Koalitionsvertrags dagegen zu setzen.
AfD setzt sich an die Spitze der Geheimdienstkritiker
Die bisherigen Schilderungen zeigen, dass in dieser Legislaturperiode die AfD dem Geheimdienst mit Abstand am kritischsten gegenüber steht und den Ausschuss vor sich her treibt. Schrader zieht jedoch an einer Stelle die Glaubwürdigkeit der AfD-Position klar in Zweifel: So sei von der AfD im Innenausschuss überhaupt keine Kritik an den Spitzeln der Polizei zu hören, im Gegenteil nehme der dortige AfD-Abgeordnete Karsten Woldeit die Polizei sogar im Amri-Skandal in Schutz. Die Frage ist also berechtigt, wie die AfD wirklich zum Thema Überwachung steht. Handelt es sich bei den Kürzungsanträgen um ein „Schauspiel“, wie sie SPD-Abgeordneter Tom Schreiber einmal bezeichnet? Oder sind Gläser und Woldeit die Protagonisten zweier unvereinbarer Strömungen innerhalb der AfD — die der staatskritischen, freiheitlichen Überwachungsgegner und die der staatsgläubigen, sicherheitsuchenden Überwachungsbefürworter? Oder ist die AfD-Position womöglich doch konsistent, weil sie zwischen der politisch eher neutralen Polizei und dem unkontrollierbaren Geheimdienst mit politischem Auftrag differenziert? Die wichtigste Frage aber von allen: Wie kann die Bewegung gegen Überwachung aus der Parteienrochade den größten Nutzen ziehen?
Nachtrag vom 17.11.2017: Laut Protokoll begründet die AfD ihre Position wie folgt (S. 4):
Die AfD sieht selbstverständlich die Notwendigkeit, die innere Sicherheit wiederherzustellen. Allerdings ist der Hebel an den Ursachen der Terrorgefahr anzusetzen, namentlich an der offenen oder verdeckten Unterstützung von Kriegen und einer armutsfördernden Entwicklungshilfe und Außenhandelspolitik in Verbindung mit der ungehinderten Einwanderung von Kriegs- und Armutsflüchtlingen nach Deutschland (anstatt Hilfe vor Ort zu leisten). Mit der angestrebten Verstärkung des Landesgeheimdienstes zur Bekämpfung von Kriminalität und Terror wird hingegen der Hebel an den Symptomen der multiethnischen Gesellschaft angesetzt zum Schaden des deutschen Volkes, das seine Freiheit durch den sich abzeichnenden Überwachungsstaat einbüßt.
Die AfD will die innere Sicherheit nicht durch mehr Verfassungsschutz sondern durch mehr Polizei, Null-Toleranz bei Vergehen, Grenzschließung und Abschiebung wiederherstellen. Im Gegensatz dazu wollten die Grünen und Linken immer die innere Sicherheit durch Deradikalisierungsmaßnahmen (Pädagogik) statt durch den Verfassungsschutz zurückgewinnen. Sehen sie ihr Konzept der Deradikalisierung jetzt als gescheitert an, oder wie ist es zu verstehen, wenn sie den Verfassungsschutz auf einmal doch verstärken?