Der neue privatrechtliche „Verfassungsschutz“

Interessante Bewertung von Dr. Philipp Ruch. Bild: Wikipedia / Tobias Klenze / CC BY-SA 4.0 hochgeladen auf SOKO-CHEMNITZ.de

Das Zentrum für politische Schönheit macht dem deutschen Inlandsgeheimdienst Konkurrenz. Mit seiner Aktion Soko Chemnitz zeigt es die Möglichkeiten auch des Privatsektors auf, mit moderner Technologie die freiheitlich-demokratischen Grundrechte auszuhöhlen. Manche begreifen die Aktion als drastischen Augenöffner, andere geben sich als Demokratie-Heuchler zu erkennen.


Es kommt uns irgendwie bekannt vor: Die Organisation filmt eine politisch missliebige Demo, identifiziert die Teilnehmer, speichert sie in ihrer Datenbank, denunziert sie bei dessen Arbeitgebern und prangert die einflussreichsten Köpfe öffentlich an. Das kann eigentlich nur der deutsche Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ sein.

Doch ach, neuerdings gibt es noch eine zweite Organisation, welche die freiheitlich-demokratischen Grundrechte mit Füßen tritt. Sie nennt sich Zentrum für politische Schönheit (ZPS) und zeigt bereits zum zweiten Mal, dass Totalitarismus auch privatrechtlich organisiert sein kann. Im Rahmen ihrer derzeitigen Aktion Soko Chemnitz hat sie 3 Millionen Bilder von 7.000 Teilnehmern der Chemnitzer Demonstrationen gegen Massenmigration ausgewertet, etwa 1.500 Personen identifiziert und auf ihrer Website angeprangert und bei den noch nicht identifizierten die Öffentlichkeit um Hinweise gebeten — gegen eine Belohnung in Bargeld. Auch das ist eine gängige Methode des Inlandsgeheimdienstes, der seinen Informanten und V-Leuten ebenfalls mit Bargeld die Zunge lockert. Wer wissen will, ob ein Bekannter in der Datenbank der Soko Chemnitz gespeichert ist, kann dessen Foto hochladen und bekommt im Nu angezeigt, ob die Person auf der Demo war (s. Bild oben). Ziel ist es, die Demoteilnehmer bei ihren Arbeitgebern anzuzeigen und ihre Entlassung zu bewirken:

Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld. Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen.

Schon vor einem Jahr hat das ZPS den oppositionellen Politiker Björn Höcke nach eigenen Angaben über zehn Monate observiert:

„Wir wissen alles“, sagt Ruch. Wann Höcke sein Holz hackt, welche Verlage ihm Broschüren schicken, wie er auf Reisen mit seinen Anzügen umgeht, wie es seinen Schafen geht, wo er gerne urlaubt.

Wenn nun Medien und Politiker das ZPS wegen dessen „Stasimethoden“ kritisieren, liegen sie allerdings vollkommen falsch, denn das „Künstlerkollektiv“ entführt und foltert ihre Zielpersonen nicht. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Das ZPS wendet nicht Stasimethoden an, sondern ausschließlich „Verfassungsschutz“-Methoden! Der einzige Unterschied ist, dass sich das ZPS dabei nicht hinter verschwurbelten Formulierungen versteckt, sondern Klartext spricht. Es zeigt sehr anschaulich die wunderbaren Möglichkeiten der modernen Technik (Big Data, Gesichtserkennung) auf. Mit seiner provokanten Aktion macht es lediglich sichtbar, was sonst heimlich hinter den mächtigen Fassaden des deutschen Inlandsgeheimdienstes geschieht — von ausländischen Diensten wie der NSA ganz zu schweigen. Es zeigt das große Grauen unserer beschädigten Demokratie, indem es dieses mit ganzer Brutalität in aller Öffentlichkeit vorführt. Das ZPS bezeichnet sich denn auch konsequent als „zivilgesellschaftlicher Verfassungsschutz“ und verwendet die gleiche Wortwahl wie dessen Vorbild: „Sind wir eine wehrhafte oder eine wehrlose Demokratie?“. Die Süddeutsche Zeitung nennt weitere auffällige Analogien: „Sie maßen sich in dieser Aktion die Rolle eines Souveräns an, der im Besitz der Wahrheit agiert.“ und „Demokrat ist, wer sich den Künstlern unterwirft.“

Man muss dem ZPS dafür dankbar sein und die Aktion als Handlungsaufforderung begreifen: Wie schützen wir in Zukunft unsere Freiheitsrechte vor den neuen Technologien in den Händen eines tiefen Staates oder mächtiger Konzerne? Wie können wir das Grundrecht in Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz wahren:

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Dass es private Geheimdienste wie beispielsweise Stratfor gibt, die Regierungen und Konzernen zuarbeiten und exakt die gleichen Methoden einsetzen, ist bereits Realität. Daneben ist die Grenze zwischen zivilgesellschaftlicher und politisch / wirtschaftlich beauftragter Propaganda schon lange verwischt. Würden wir nicht genau das, was das ZPS uns knallhart vor Augen führt, von mächtigen Akteuren erwarten? Sollte beispielsweise eine Demo von Umweltschützern gegen ein umstrittenes Pestizid wie Glyphosat nicht irgendwann die gleichen Handlungsmuster bei der Bayer AG auslösen, sobald der Konzern einflussreich genug ist, die Protestler als Gefahr für die Ernährungssicherheit darzustellen? Nehmen wir einmal nur zur Übung an, das ZPS hätte einen verdeckten dotierten Auftrag einer Regierungspartei zu ihrer Aktion erhalten oder bekäme staatliche Zuschüsse!

Wenn die Aktion nicht schon gegen Datenschutzgesetze verstößt oder anderweitig strafbewehrt ist, dann wäre es jetzt angesichts der verfügbaren Technologien höchste Zeit, unsere Grundrechte gegen die neuen privatrechtlichen Angriffe zu schützen. Brauchen wir etwa einen weiteren Paragraphen im Strafgesetzbuch: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer Teilnehmer einer rechtmäßigen Versammlung identifiziert, um ihre Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Brauchen wir etwa im Gegensatz zu unserem „Verfassungsschutz“ einen echten Staatsschutz, der unsere Grundrechte gegen Angriffe wie diesen verteidigt?

Und noch etwas bewirkt das ZPS: die Entlarvung der Demokratie-Heuchler, die ihre übliche Überwachungskritik relativieren, die politische Denunziation befürworten, die Meinungsäußerungen mit Straftaten auf eine Stufe stellen oder die die Versammlungsfreiheit über den Hebel des Arbeitsplatzverlustes gleich ganz abschaffen wollen, solange es die vermeintlich Richtigen trifft.